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Mariah Carey - Erotisch, naiv oder einfach nur
berechnend?
Die 28jährige Disco-Diva über die Suche nach dem Glück, über
Jet-lag und überhaupt...
Amica: Mrs. Carey, zweimal haben Sie das Interview verschoben, aber in Europa
sagt man: "Aller guten Dinge sind drei".
Mariah Carey: Sorry, aber ich bin um die Welt gereist, war mitgenommen von
der Zeitverschiebung, hatte keine Zeit zum Ausruhen; manchmal denkt man,
man wird verrückt - ich sag`s dir.
Amica: Klagt die erfolgreichste weiße Popsängering der Neunziger
etwa?
Mariah Carey: Ich bin nicht weiß! Ich bin halb schwarz und halb irisch.
Und ich beklage mich nicht. Jeder Tag ist bei mir anders, ich wache in anderen
Betten...
Amica: ...anderen Betten?
Mariah Carey: ... (lacht) Hotelzimmer! Jeden Tag gucke ich aus meinem
Presidenten-Suite-Fenster auf eine andere Stadt. Kein Tag gleicht dem anderen.
Amica: War das schon immer so?
Mariah Carey: Ich kann mich an das sogenannte normale Leben nicht erinnern.
Immer Konzertreisen.
Amica: Und was setzt Ihnen jetzt gerade zu?
Mariah Carey: (stöhnt) Heute?! Ich bin um acht Uhr in der Früh
aufgestanden, und ich habe kein Gefühl für Zeit mehr. Ich kann
nachts nicht schlafen, muß aber frühmorgens aufstehen. Liegt
wahrscheinlich am Jet-lag. Letzte Woche Australien, gestern New York, und
jetzt bin ich in Madrid. Keine Ahnung also, wie spät es ist.
Amica: 18 Uhr MEZ.
Mariah Carey: Danke. Meine Assistentin mußte mich an unser Interview
erinnern, sonst hätte ich`s auf der bequemen Couch verschlafen.
Amica: Innerhalb einer Woche auf drei Kontinenten. Wie profitiert die
Künstlerin Mariah Carey von diesem Input an Eindrücken?
Mariah Carey: Ich achte im Moment nicht allzu sehr auf Dinge, die mich
inspirieren könnten. Ich bin hier als Geschäftsfrau, da ist kreativer
Input nicht allzu wichtig.
Amica: Reisen macht in der Regel einsam. Fühlen Sie sich alleine, wenn
Sie unterwegs sind?
Mariah Carey: Manchmal. Aber da ich nie alleine reise, kann man sich nicht
wirklich einsam fühlen.
Amica: Ihr Leben besteht also nur aus Arbeit, nicht aus Spaß?
Mariah Carey: Moment mal! Natürlich habe ich Spaß. Zur Zeit begleitet
mich eine Freundin aus Schweden, die ich kennengelernte, bevor ich so
berühmt wurde. Ihr vertraue ich, und wenn ich mal in Europa bin, zahle
ich ihr Flug und Hotel, damit wir uns sehen.
Amica: Warum vertrauen Sie ihr?
Mariah Carey: Als wir Mädchen zu fünft in New York in einer kleinen
Wohnung lebten, mit Matratze auf dem Fußboden, da war sie es, die mir
die Kellner-Jobs besorgte. Und sie hat die Pressekonferenzen Miterlebt, auf
denen Hunderte von Journalisten und TV-Teams mit mir sprechen wollen. Wir
können beide darüber lachen - so was verbindet.
Amica: Das klingt, als wollen Sie Ihre brotlose Zeit romantisieren.
Mariah Carey: Das war schon wild, in der kleinen Wohnung, nur mit einem
Badezimmer, und jeden Morgen ging das gleiche Drama los, wer als erste ins
Bad konnte zum Zähneputzen und Duschen...
Amica: Das geht vielen so.
Mariah Carey: Als ich davon träumte, Sängerin zu werden, hatte
ich kaum Geld. Mit 18 war ich Background-Sängerin; immer wenn Zeit war,
arbeitete ich an eigenen Songs, um sie eines Tages jemandem vorzuspielen.
Wir wissen alle, ich hatte Glück, aber die Zeit, von der ich rede, liegt
noch davor; in problematischen Familienverhältnissen aufgewachsen zu
sein, kein Geld zu haben - all das hat mich zu einer harten Person gemacht,
die genau weiß, was sie will, und sich nichts wegnehmen läßt.
Amica: Sie haben sich die Freiheit wegnehmen lassen. Es heißt, Ihr
Ex-Mann Tommy Mottola hätte Sie behütet wie eine Singdrossel.
Mariah Carey: ... da war icht nicht mehr ich selbst, da habe ich existiert
und nicht gelebt.
Amica: Aber Sie fühlen sich doch hingezogen zu Leuten, die es früh
schaffen, sich durchzusetzen.
Mariah Carey: Ich wurde wie eine Erwachsene behandelt, seit ich vier war.
Und wenn ich Leute treffe, die viel erreicht haben, während sie noch
jung sind, fühle ich mich mit ihnen verbunden. Vielleicht können
nur solche Leute mich verstehen.
Amica: Oder ist es einfach cooler, mit jungen und schönen Menschen
zusammenzuarbeiten?
Mariah Carey: Alle meine Freunde sind auf College gegangen, während
ich auf meiner Matratze hockte, um mit meinen Demo-Tapes weiterzukommen.
Studenten kapieren das nicht. Sie sagen dann, meine Karriere sie Zufall.
Menschen, die immer auf sich alleine gestellt waren, wenn man nur noch sich
selbst vertraut.
Amica: Dann müßten Sie nun Ihre Sturm-und-Drang-Zeit nachholen,
die Zeit, als Ihre Freizeit von Ihrem Mann für Sie eingeteilt wurde...
Mariah Carey: Ich bin doch keine alte Frau! Ich bin noch ein Twen; daß
ich in einer kurzen Phase meines Lebens echt viel gearbeitet habe, ist doch
nicht verwerflich. Seit mein erstes Album erschien, fühlte ich mich
für das Wohlergehen vieler Leute verantwortlich, emotional wie finanziell.
Als Kind war ich genauso, nur daß ich kein Geld hatte.
Amica: Was für eine Philosophie haben Sie daraus für sich
gezogen?
Mariah Carey: Alles, wo du dich durchkämpst, macht dich noch stärker.
Amica: Wollen Sie wieder heiraten?
Mariah Carey: Ich würde wieder heiraten, wenn ich einer Person begegnen
würde, der ich vollkommen vertraue. Die ich unsterblich lieben würde.
Und wenn klar wäre, daß wir Kinder bekommen wollen. Ohne Kinder
- keine Heirat.
Amica: Aber lassen sich Kinder und Ihre Karriere überhaupt verbinden?
Mariah Carey: Man weiß nie...
Amica: Viele Menschen wissen mit 28 noch nicht so sicher wie Sie, ob sie
überhaupt mal heiraten.
Mariah Carey: Echt?
Amica: Ja.
Mariah Carey: Heiraten ist aber das Natürlichste von der Welt. Auch
wenn es nicht immer die richtige Entscheidung ist.
Amica: Sie waren verheiratet und haben sich scheiden lassen.
Mariah Carey: Ja. - Und ich bin immer noch dabei, diese Erfahrung zu verarbeiten.
Ich versuche immer noch, mich selbst, als Person, zu heilen - von so einigen
Dingen. Ich glaube, ich war einfach noch zu jung zum Heiraten. Aber ich bin
jetzt glücklich, und ich werfe niemandem etwas vor außer mir selbst.
Amica: Im alttestamentarischen Sinne, daß jeder für sich selbst
verantwortlich ist, die Schuld der Welt auf seinen Schultern zu tragen?
Mariah Carey: Exakt. So sieht`s aus (seuftzt).
Amica: Räumen Sie Ihr Leben auf?
Mariah Carey: Nein, ich würd` sagen: Heute tue ich genau das, was ich
immer getan habe, nur daß ich mich auf die Dinge, die mir Spaß
machen, mehr konzentrieren kann - und ich weiß, daß alle
Entscheidungen, die ich heute treffe, meine sind. Und wenn mich jemand kritisiert
für falsche Entscheidungen, wird die richtige Person kritisiert.
Amica: Wie kommen Sie bei all dem noch zur künstlerischen Arbeit?
Mariah Carey: Ich habe doch das ganze letzte Jahr geschrieben. Über
all das, was um mich herum war. Ich bin dann ganz anders als jetzt...
Amica: Flüchten Sie dann vorm normalen Geschäft, dem normalen
Leben?
Mariah Carey: Ich gehe zum Strand, ich sitze irgendwo, egal. Hauptsache,
ich bin allein.
Amica: Aber alleine sein, das können Sie schon? Über Sie wurde
geschrieben, daß Sie ein Vogel in einem goldenen Käfig
wären.
Mariah Carey: Wissen Sie, wenn ich das jetzt bestätigen würde,
dann würden alle Leute sich zerreißen und sagen: Was jammerst
du? Schau doch, was du erreicht hast, du undankbares Stück!
Amica: Also?
Mariah Carey: Das Glücksgefühl muß von innen kommen. Auch
in einem Palast kann man sich schrecklich fühlen, und man kann als
Obdachloser einen Menschen haben, den man liebt und der einen auch liebt
- und glücklich sein!
Amica: Amen. Was suchen Sie was wollen Sie wirklich?
Mariah Carey: Glück. Das suche ich. Ich war immer dankbar dafür,
was ich in meinem Leben erreicht habe. Aber ich habe mich schuldig dafür
gefühlt, daß ich nicht glücklich war. Weil ich dachte, man
kann nicht gleichzeitig erfolgreich und glücklich sein.
Update: 30. Juni 1998